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Quants und ihre Dilemmas: Die am häufigsten gestellten Fragen zum Thema systematisches Investieren

Systematisches Investieren erhielt in jüngster Zeit verstärkt Interesse, da die klassischen Anlagestile aufgrund negativer Marktbedingungen erheblich unter Druck geraten sind. Wir haben uns mit Dr. Silvia Stanescu und Dr. Chris Longworth, den Investment Directors bei GAM Systematic, zusammengesetzt und mit Ihnen über einige der am häufigsten gestellten Fragen diskutiert, über die Funktionsweise systematischen Investierens, über weit verbreitete Missverständnisse und über die Rolle, die systematisches Investieren als Komponente eines gut diversifizierten Portfolios spielen kann.

04. Oktober 2022

Für diejenigen, denen dieser Anlagestil weniger vertraut ist: Was genau ist systematisches Investieren?

Chris: Vereinfacht ausgedrückt stellt systematisches Investieren einen regelbasierten Ansatz im Investmentprozess dar. Aus einer grossen Anzahl von Quellen der relevanten Handelsmärkte sammeln und aggregieren wir Daten, um Modelle zu erstellen, die uns helfen, einige der Zusammenhänge zwischen diesen Daten und den Marktbewegungen zu erklären. Letztlich sind unsere Modelle bestrebt, Muster zu erkennen, die sich im Zeitverlauf wiederholen und das Potenzial in sich tragen, eine positive Rendite zu erzielen.

Silvia: Schauen wir uns beispielsweise die Preisdynamik an. Preistrends bauen sich aus unterschiedlichen Gründen auf, die bereits weithin dokumentiert sind. Dazu zählen etwa Informationsasymmetrien und auf bestimmten Vorurteilen beruhende Verhaltensmuster. Da kein Marktteilnehmer über Zugang zu perfekten Informationen verfügt, können sich Trends entwickeln, da kontinuierlich neue Informationen im Marktpreis verarbeitet werden. Dazu kommt, dass bestimmte Verhaltensmuster, wie z. B. eine Überreaktion auf die Handlungen anderer Marktteilnehmer, Trends verstärken und verlängern können, sobald sich diese gebildet haben.

Darüber hinaus können Preistrends durch Aktivitäten in anderen anverwandten Märkten wie den Futures- und Optionsmärkten verstärkt werden. Aktivitäten aus Absicherungsgeschäften in den Optionsmärkten könnten eine Preisdynamik im zugrunde liegenden Terminmarkt erzeugen, die von anderen Teilnehmern für deren Handelsaktivitäten ausgenutzt wird.

Warum sollte sich ein Anleger für einen systematischen Investitionsstil entscheiden?

Silvia: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Computer und Maschinen Multitasking-Aufgaben und parallel ablaufende Aufgaben besser ausführen als Menschen. Ein Beispiel aus den Kapitalmärkten ist die gleichzeitige Durchführung von Handelsaktivitäten in vielen Märkten. Warum ist das hilfreich? Nun, es ermöglicht eine grössere Diversifikation. Durch systematisches Investieren kann man in einer grossen Anzahl von Märkten investieren und in diesen Märkten effizienter handeln.

Chris: Darüber hinaus ist der systematische Handel in der Lage, sukzessive und schrittweise auf neue Informationen zu reagieren, sobald diese eingehen. Signalisiert beispielsweise ein Preisdynamikmodell an einem Markt steigende Preise, diese jedoch plötzlich fallen, ist das Modell in der Lage, das Konfidenzniveau seiner anfänglichen Annahmen neu zu bewerten und seine Marktpositionierung angemessen anzupassen.

In welche Arten von Märkten investieren Sie?

Silvia: Systematisches Investieren kann in jeder Art von Markt angewandt werden. Die Märkte, auf die wir uns in der Regel konzentrieren, betreffen jedoch die liquidesten Makroanlagen in den Märkten für festverzinsliche Wertpapiere, Aktien, Währungen und Rohstoffe. Dies versetzt uns in die Lage hochskalierbare Modelle zu erstellen, Positionen dynamisch anzupassen und die Handelstransaktionen effizient und zu niedrigen Kosten auszuführen.

Mit welchen Arten von Daten arbeiten Sie dabei?

Chris: Wir beziehen eine grosse Menge unterschiedlicher Daten in unsere Arbeit ein, einschliesslich Echtzeitdaten der internationalen -Börsen. Viele der Daten, mit denen wir arbeiten, sind «verzerrt» und können Fehler enthalten. Es erfordert viel Können, um diese Daten effizient zu verarbeiten und daraus nützlichen und informativen Input für unsere Modelle ziehen.

Wie relevant ist maschinelles Lernen für ein systematisches Portfolio?

Chris: Maschinelles Lernen ist nur eines der Instrumente, über die wir für die Erstellung robuster systematischer Modelle verfügen. Die Forschung für meine Doktorarbeit im Machine Intelligence Laboratory in Cambridge konzentrierte sich auf das maschinelle Lernen im Zusammenhang mit der Spracherkennung von Computern, doch der Finanzbereich konfrontiert uns mit einem ganz speziellen Problem.

Eine der Herausforderungen des Einsatzes maschinellen Lernens in Finanzanwendungen besteht darin, dass uns für viele der Fragestellungen, die uns interessieren, nur begrenzt Daten zur Verfügung stehen, auf deren Grundlage wir die Modelle trainieren können. Im Gegensatz dazu ist die Anwendung maschinellen Lernens im Bereich der Spracherkennung sehr einfach, grosse Datenmengen zu sammeln und sehr komplexe Modelle zu trainieren und zu erstellen.

Für uns liegt die Herausforderung nicht nur in der Erstellung sehr komplexer Modelle, sondern auch im Umgang mit Situationen, für die nur sehr begrenzt Daten verfügbar sind. Welche Techniken eignen sich am besten, wenn nur begrenzt Daten verfügbar sind? Meistens stellen wir fest, dass Wahrscheinlichkeitsansätze am wirkungsvollsten sind. Sie sind gut geeignet, um mit begrenzten Datenmengen zu arbeiten, aber auch sehr wirksam, um ein gewisses Mass an Vertrauen in ihre eigenen Prognosen zu schaffen.

Was braucht man, um ein systematisches Portfolio zu handeln?

Chris: Systematisches Investieren ist relativ anspruchsvoll, was sicherlich niemanden überraschen wird und hängt sehr stark davon ab, ob die Infrastruktur zur Erstellung und zum Betrieb der Modelle vorhanden ist. Wir arbeiten mit sehr grossen Datenmengen, die wir in Echtzeit verarbeiten und unsere Modelle damit versorgen. Dies erfordert sehr viel Programmierungsaufwand, den wir im Verlauf eines Jahrzehnts sukzessive geleistet haben.

Doch der Betrieb dieser Modelle und der Risikomanagementprozesse stellt nur einen kleinen Teil unserer gesamten Infrastruktur dar. Wir müssen auch in der Lage sein, unsere Positionen zu verfolgen und unsere Wertentwicklung auf Grundlage der Marktpreise in Echtzeit zu bestimmen. Darüber hinaus benötigen wir zahlreiche Kontrollen und Verfahren, die uns bestätigen, dass unsere Systeme sich so verhalten, wie wir es erwarten.

Wenn sich das System um den Handel kümmert, was sind dann Ihre Aufgaben?

Silvia: Kurz gesagt: Wir kümmern uns um die Weiterentwicklung. Wir recherchieren neue Investmentstile und müssen auch unsere Investmentstrategien an die sich verändernden Märkte anpassen. Während neue Märkte oder neue Marktteilnehmer und daraus resultierend neue Marktdynamiken entstehen, ergibt sich für uns die Gelegenheit, Muster zu erkennen und neue Investmentmodelle zu erstellen bzw. die vorhandenen Modelle im Einklang mit den neuen Dynamiken anzupassen.

Chris: Unser Investmentteam besteht aus Mitgliedern mit ganz unterschiedlichen beruflichen Laufbahnen, doch sie alle vereint die Freude an der Erforschung neuer Themen und der Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf die Herausforderungen des Investmentgeschäfts. Manchmal ergeben sich Portfolioverbesserungen aus der Entwicklung völlig neuer Modelle, doch die Optimierung vorhandener Modelle kann ebenso bedeutend sein, beispielsweise, um die zugrunde liegende Investmenthypothese noch effektiver auszudrücken, oder um Handelsgeschäfte noch effizienter und kostengünstiger durchzuführen.

Wie antworten Sie auf die Kritik, dass systematisches Investieren reines Black-Box-Investieren ist?

Chris: Das ist eine Frage, die uns oft gestellt wird. Viele Beobachter empfinden den systematischen Handel als mysteriös und undurchsichtig und, von aussen betrachtet, kann das sicherlich auch so erscheinen. Doch für uns ist alles, was wir tun, regelbasiert. Wir können jede Entscheidung, jede Position und jedes Handelsgeschäft, das von den Systemen durchgeführt wird, auf die Modelle zurückführen, die wir erstellt haben, sowie auf die Daten, mit denen die Modelle versorgt werden.

Vergleicht man dieses Vorgehen mit einem Händler, der nach freiem Ermessen entscheidet, dann sind seine Entscheidungen letztlich das Ergebnis einer Reihe sehr komplexer Abläufe im Gehirn des Händlers. Im Unterschied dazu ist es beim systematischen Ansatz viel einfacher nachzuverfolgen, auf welcher Grundlage jede einzelne Handelsentscheidung getroffen wurde.

Systematisches Investieren beruht in der Regel auf historischen Simulationen. Was geschieht, wenn die Zukunft von der Vergangenheit abweicht?

Silvia: Auch wenn die Analyse und Ableitung von Mustern aus historischen Daten einen grossen Anteil unserer Arbeit ausmachen, beruhen unsere Handelsentscheidungen nicht ausschliesslich darauf. Ein systematisches Portfolio wird durch Investieren in eine Reihe verschiedener Investmentstile oder -strategien erstellt mit der Erwartung, dass jeder dieser Stile unter verschiedenen Marktbedingungen eine gute Wertentwicklung erzielt. Je grösser die Diversifizierung dieser Szenarien ist, desto besser sind wir auf das zukünftige Geschehen vorbereitet.

Chris: Was geschieht, wenn die Entwicklung anders verläuft als erwartet? Das ist eine Frage, die uns seit vielen Jahren immer wieder gestellt wird. Dies ist durchaus eine berechtigte Frage, denn wie sich herausstellt, gestaltet sich die Zukunft immer anders als erwartet. Es passiert immer wieder etwas Neues und wir bauen daher Modelle, die sich anpassen und in Echtzeit auf neue Situationen reagieren können. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass viele der Muster, auf deren Grundlage wir handeln, von langfristigen strukturellen Marktdynamiken wie auch durch menschliche Verhaltensmuster beeinflusst werden. Diese manifestieren sich in der Regel über längere Zeiträume, da sich die menschlichen Verhaltensweisen letztlich nicht verändern.

Berichten Sie uns Ihre Erfahrungen und was Sie anzubieten haben.

Chris: Wir betreiben das systematische Investieren mittlerweile seit mehr als zehn Jahren. In diesem Zeitraum haben wir erheblich in die Infrastruktur und Technologie, die wir nutzen, investiert. Darüber hinaus können wir auf eine langjährige Erfolgsbilanz bei der Erforschung und der Optimierung der Modelle, mit denen wir im Markt handeln, zurückblicken. Darüber verfügt man nicht gleich ab dem ersten Tag.

Wir haben darüber hinaus stark in die Automatisierung und Systematisierung investiert und sichergestellt, dass viele der häufig anfallenden Aufgaben vollkommen automatisch ausgeführt werden und keinen menschlichen Input mehr benötigen. Dadurch verfügt unser Team über mehr Zeit für die Dinge, die wir am besten können, nämlich die Forschung und die weitere Optimierung unserer Strategie und Handelsmodelle.

Silvia: Wenn ich hier den Faden wieder aufnehmen darf: Forschung ist ein integraler Bestandteil von GAM Systematic. Wir können auf diese Weise mit den Branchenentwicklungen Schritt halten und bleiben gleichzeitig mit der Wissenschaft in Kontakt. Unsere eigenen Wurzeln liegen im Wissenschaftsbereich und einige unserer Teammitglieder tragen einen Doktortitel. In meiner früheren Laufbahn war ich Dozentin an der Universität und das liegt mir nach wie vor nahe am Herzen – und nahe am Gehirn! Durch unseren Standort in Cambridge pflegen wir langjährige Beziehungen zur Universität Cambridge und dort insbesondere zur Mathematischen Fakultät, mit der wir bei zahlreichen Forschungsprojekten zusammenarbeiten.

Worauf konzentriert sich Ihre Forschung derzeit?

Chris: Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten bei systematischen Makroinvestitionen liegt uns beiden sehr am Herzen. Dies stellt eine sehr interessante Herausforderung dar, da der Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsforschung traditionell auf Unternehmen liegt. Die Nachhaltigkeitsforschung beim Makroinvestieren gestaltet sich oft beträchtlich schwieriger. Beispielsweise könnte man beim Vergleich von Facebook mit Tesla beide als Technologieunternehmen oder als Unternehmen in verschiedenen Branchen betrachten, doch grundsätzlich verfügen beide über ähnliche Charakteristika, die gemessen und verglichen werden können.

Wenn Sie dies dem Investieren in einem Makrouniversum gegenüberstellen, wo man vielleicht eine Investition in Rohöl mit einer Investition in polnische Aktien vergleicht, dann sind hier die Unterschiede bedeutend grösser. Wie können wir dies also in vergleichbare Grössenordnungen einordnen und unsere Allokationen anpassen, um ein nachhaltigeres Portfolio zu erstellen? Für diese Fragen gibt es bisher keine Standardantwort in unserer Branche. Daher liegt bei uns ein besonderer Schwerpunkt darauf, systematische Ansätze zu erstellen, die darauf abzielen, die ursprünglichen Ziele des Anlegers zu erfüllen und dies gleichzeitig auf nachhaltigere Weise zu tun.

Silvia und Chris, vielen Dank für das Gespräch.

Wichtige rechtliche Hinweise
Die in diesem Dokument zur Verfügung gestellten Informationen dienen nur zu Informationszwecken und gelten nicht als Investmentberatung. Die in diesem Dokument enthaltenen Meinungen und Bewertungen sind Veränderungen unterworfen und spiegeln GAMs Ansichten in der derzeitigen wirtschaftlichen Umgebung wider. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben wird keine Haftung übernommen. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftigen Ergebnisse oder aktuelle oder zukünftige Trends. Die genannten Finanzinstrumente dienen nur zur Veranschaulichung und gelten nicht als direktes Angebot, Anlageempfehlung oder Anlageberatung. Die aufgeführten Wertpapiere wurden aus dem von den Portfoliomanagern betreuten Wertpapieruniversum ausgewählt, um dem Leser ein besseres Verständnis der präsentierten Themen zu ermöglichen, und werden nicht unbedingt in einem der Portfolios gehalten bzw. stellen nicht unbedingt eine Empfehlung der Portfoliomanager dar. Es gibt keine Garantie, dass Prognosen und Ziele erreicht werden.

Dr Chris Longworth

Leiter von GAM Systematic
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